Leseprobe zu SAXONIA
„Tscha also – dann gratuliere ich Ihnen allen ganz herzlich zum bestandenen Patent Seefunkzeugnis 2. Klasse.“
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Jetzt bin ich erst mal ziemlich ‚blank‘ – Pleite. Melde mich telefonisch bei Krischan zum Dienst zurück. Glücklicherweise hat man mich da noch auf dem Zettel. „Ja, denn steigen Sie gleich in acht Tagen auf der SAXONIA ein“, heißt es. „Wie? Wo der fährt? Ja, der fährt Linie ‚da unten‘ in Ostafrika. Erz von L.M. nach Japan und zurück dann mit CeKaDe’s.“ Die SAXONIA also. Nach allem was ich bisher gehört hab davon, wohl so was wie ein deutscher Billigdampfer.
„Ja, der kommt in ein paar Tagen nach ‚LM‘. – Klingt ja so ganz gut. CKD bedeutet ‚completely knocked down‘; das sind nichts anderes als fabrikneue Autoteile, die später in Karosserien verbaut mal fertige Autos werden. Und LM ist – sowas weiß man – einer der Traumhäfen für Hein Seemann, ja und da wollte ich sowieso schon immer mal hin. Lourenco Marques – unter Seeleuten kurz ‚LM‘ – heute heißt das Maputo – ist die Hauptstadt der portugiesischen Kolonie Mosambik. Schon seit langem tobt im Inneren des ostafrikanischen Landes ein Bürgerkrieg zwischen schwarzen Rebellen und der portugiesischen Kolonialmacht. An der Küste ist bislang noch alles ruhig. Aber halt – Moment mal – letztens die Fernsehnachrichten! Läuft da in LM nicht gerade jetzt so was ab wie ne richtige Revolution? Ist da nicht eine ganze Armee kommunistischer Freischärler, – diese ‚Frelimos‘ – gerade dabei, die Stadt zu überrennen? Aus den Abendnachrichten erfahre ich heute, die sind gerade dabei den Rundfunk zu stürmen. Will die Heuerabteilung mich vielleicht aus Jux da einfach so in die vorderste Kampflinie schicken?
Tags drauf ist es soweit. Mit fünf Mann hoch kommen wir im Flughafen Fuhlsbüttel zusammen, vom schönen Didi aber ist nichts zu sehen. Ach so, der fliegt natürlich Erste Klasse. Zunächst geht’s nach Lissabon, dort zwei Stunden warten im Transitraum, dann steigen wir um in einen Jumbo der South African Airways. Von da geht es nonstop nach Johannisburg. Volle zwölf Stunden dauert der Flug – nicht über, sondern in einem Bogen rund um das westliche Afrika. Grund dafür ist die rassistische Apartheids-Politik, wegen der das südafrikanische Regime von fast sämtlichen afrikanischen Staaten streng boykottiert wird. Einzig die angrenzenden portugiesischen Kolonien Angola und Mozambique pflegen freundschaftliche Beziehungen zur S.A.U. Wir fliegen also in gebührendem Abstand außerhalb des Küstenstreifens um Westafrika herum und erreichen erst im Süden von Angola wieder das Festland. Irgendwann erfolgt Durchsage vom Piloten, in elftausend Metern Höhe überfliegen wir gerade den Naturschutzpark Etosha Pan. Kenn ich nicht, nie gehört und zu sehen gibt es auch nichts da unten. Die rötlich braune Fläche tief unter uns ist nicht aufregender als vorher der eintönige Flug über den gesamten Ostatlantik. In dem öden fast menschenleeren Flughafen von Johannisburg haben wir einen zweistündigen Zwischenstopp und kurz noch zwei Biere in der leeren Flughafen-Bar, dann geht es weiter mit einer altersschwachen portugiesischen Propellermaschine nach Lourenco Marques. Foto 112 Und da herrscht Revolution, heißt es. Als wir über der Stadt kreisen, sieht es aus der Luft eigentlich ganz friedlich aus; keine Feuer oder auch nur Qualmwolken, von brennenden Gebäuden ist nichts zu sehen. Im Hafen liegen Schiffe aufgereiht an den Piers, ein Dampfer hinter dem anderen. Problemlose Landung. Der moderne Flughafen ist sauber und aufgeräumt, man sieht kaum Zivilisten, dafür aber eine Menge Uniformierte, martialisch mit MP’s bewaffnet, kleine drahtige Kämpfer. Die tun uns aber nix. Wir werden schon von der Agentur erwartet und auf zwei Taxis verteilt. Ab geht’s zum Hafen. Vorbei an unzähligen Autos, die auffällig achtlos am Straßenrand herum stehen, die Türen teils weit offen. Einige sind ausgebrannt, andere im Begriff gerade ausgeplündert zu werden. Unser portugiesischer Taxifahrer, ein ziemlich raubeiniger und ungepflegter Typ; flucht wie ein Rohrspatz in einem Kauderwelsch aus Portugiesisch und Englisch auf die verdammten „Nigger“ wo immer er welche zu Gesicht bekommt, und das lauthals aus dem offenen Fenster raus. Spinnt der? „Mann, halt doch endlich die Schnauze du Mors, wir wollen wenigstens heil auf unserem Dampfer ankommen!“
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Der Alte an Bord ist ‚Erwin‘. In der Flotte weithin bekannt unter dem Spitznamen ‚Kümo-Kutscher-Katzer‘ oder auch Kater Karlo‘. Oder auch „einer von den drei bösen Ka’s“ der Reederei. Oder wie Chief Erni Bröer es mal ausdrückte: Gefährlich wie ne Klapperschlange ist der! Na, ich hab‘ ihn ja schon auf der CONSTANTIA genossen. Aber ansonsten – positiv ist hier zumindest das Betriebsklima! Es ist eine ausgesprochen fröhliche Gang an Bord. Gleich nach Feierabend werd ich zum Landgang aufgefordert. „Was? – Wieso soll hier denn kein Landgang sein? Ist doch alles völlig harmlos. Im Gegenteil, hier ist der Bär los an Land, ja klar – was das Nachtleben anbelangt. Wat is, kommste mit?“ Najaa – wenn das soo ist. . .
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Uff! Die Luft ist zum Schneiden. Gegen die Warmluft aus dem Lüfter kommen auch die geöffneten Fenster nicht an; die feuchte Schwüle lässt sich halbwegs nur mit kaltem Bier aushalten. Die Besucher schwitzen und sind am Gasen wie verrückt, ‚ein Hecht‘ steht im Raum wie im Raubtierzwinger, aber die gute Stimmung lässt einen das alles gern ertragen. Ich nehme damit schon mal vorweg, was das Bordklima anbelangt, war die SAXONIA so ziemlich einer der besten Dampfer in meiner gesamten Seefahrtzeit.
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Einen Bordhund gibt es auf der SAXONIA nicht, dafür aber einen Kakadu. Keiner ist lang genug an Bord um zu wissen, wie und wo der Vogel an Bord kam, es muss schon verdammt lange her sein. Jakob heißt er, hat weiße Federn und einen gelben Schopf, meistens aber sieht er ziemlich schmuddelig aus. Eine Folge davon, dass die von der Maschine sich nicht jedes Mal ihre schwarzen Öldaddeln waschen, wenn sie ihn streicheln. Jakob steht nämlich sehr auf Streicheleinheiten. Ständig versuchen die Leute, ihm das Sprechen beizubringen, mindestens aber seinen Namen. Vergeblich. Aus seinem Gekrächze kann man alles Mögliche raus hören, aber bei so vielen Lehrern wird das einfach nichts. Wenn er nicht nach Entenart schwerfällig an Deck herum watschelt, sind seine bevorzugten Plätze die Schultern der Piepels, aber gern auch mal auf Schuhen, wenn welche in einer Gruppe zusammen stehen.
Kaptain Erwin ist unruhig, die allgemeine Rumhängerei passt ihm überhaupt nicht. Er kommt ins Grübeln. Vor allem, wieso der Dampfer nix mehr läuft. Muss einfach am Bewuchs liegen. Recht hat er damit und das wissen eigentlich alle an Bord. Ist ja auch Dauerthema bei den Mahlzeiten. Einmal kommt Erwin von einem Landgang zurück. Erzählt beim Essen, in einem Hotel hat er interessante Leute kennen gelernt. „Ihr werdet schon sehen!“ Am nächsten Nachmittag kommt er an mit zwei einheimischen Sporttauchern im Schlepp. Portugiesen; hellhäutig, braun gebrannt von der Sonne. So wie die auftreten, sind das eigentlich mehr so Playboytypen. Goldene Kettchen, schicke Sonnenbrille und Firlefanz. Die sitzen also mit ihm in der Messe, genießen unser kühles Bier und reden auf ihn ein, für sie wäre es ein Leichtes, den Muschel- und Algenbewuchs vom Unterwasserschiff der SAXONIA zu beseitigen. „No problem, capitan“. Erwin grinst faunisch dazu, wie es ja seine Art ist, wenn er irgendwas aushandelt. Dumm ist der ja nicht, dafür verdammt schlitzohrig. Ja sagt er, wenn sie das einigermaßen gut hinkriegen, dann gibt’s auch ordentlich cash dafür. Dollars auf die Hand. Also dann erst mal auf Probe. Am nächsten Tag kommen sie mit einem winzigen Sportboot angefahren. In Badehose, sportlich gestählte Körper und mit Schnorchelbrille. Sind sehr zuversichtlich die Jungs. Freuen sich auf die dicke Kohle, die bei uns zu verdienen ist. Als Arbeitsgerät haben sie ihre eigene Apparatur mitgebracht. Also eine runde Bürste von der Größe etwa eines Tortenbodens, die wird nun per Schlauch mit Wasserdruck aus der Deckwaschleitung in rotierende Bewegung gebracht. Na ja, ist ja alles schön und gut, meint die Decksgang, aber im Ernst, wie wollen die mit diesem Spielzeug die zähen ‚seapocks‘, vom Rumpf runter kriegen? Seepocken, das sind die in langen Monaten mehrerer Reedezeiten an der Wasserlinie und auf dem gesamten Schiffskörper darunter fest angewachsenen scharfkantigen Muscheln. Das Schiff ist immerhin 133 Meter lang und hat einen Tiefgang von gut 7 Metern. Angesichts dieser Flächen sieht man an Bord das Unternehmen durchweg skeptisch. Zumindest diejenigen, die schon mal im Dock unter einem Schiff herum gekrochen sind. Egal, lass doch die Playboys man ruhig sich da abrackern.
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Nach drei Tagen setzt Erwin sich mit ins Sportboot um erste Ergebnisse festzustellen; sowohl bei den Hobbytauchern wie auch weiter vorne am Steven, wo man von der erhofften Wirkung des Bodenhobels noch am ehesten ein Ergebnis sehen oder fühlen müsste. Nix! Die beiden Playboys loben sich selber in höchsten Tönen „Captain! You see, its smooth like babyface. . . “Nix da“ sagt Erwin angesichts der unverändert wie angeschweißt festsitzenden Muscheln und Seepocken, die armtief unter der Wasserlinie zu fühlen sind „You cannot shit me, hahaha, no cure, no pay my friend!“ Bringt also diesen alten Spruch aus der Bergungsschlepperei jetzt an und überreicht zum Abschied mit breitem Grinsen und jovialem Schulterklopfen jedem eine Stange Marlboro und dazu eine Whisky-Buddel Red Label als Trostpflaster. Ohne Spesen nichts gewesen. Und auch dem in der Flotte rasch bekannt gewordenen Projekt ‚Erwins Bodenhobel‘ blieb damit außer viel Spott kein Erfolg beschieden.
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Erwin schmierte die Russen mit Wodka und mit Versprechen auf noch mehr Wodka. Wenn dann ein Ende der Beladung abzusehen war, ging Erwin an Land. Mit einer großen Ledertasche voll mit Hochprozentigem erschien er auf der Agentur. Und dann wurde gesoffen. Aus Wassergläsern. Und Erwin hielt mit denen mit und wich ihnen nicht von der Pelle. Und wenn das Tage dauerte. Solange bis die mit ihrem Papierkram fertig waren und er die Konnossemente in seine jetzt leere Ledertasche reinstopfte. Dann torkelte er voll wie die berühmten 1000 Russen zurück an Bord und gab mit letzter Kraft Order den Dampfer loszuschmeißen. Erwin schaffte die vier Reisen, im Gegensatz zu den meisten anderen Kümoschippern, die da warteten und warteten bis sie vielleicht auch mal dran waren. Und sein Dampfer war proppenvoll, um nicht zu sagen, überladen. Auch wenn die Steuerleute auf Heimreise oft genug mal kräftig Muffensausen hatten, ob der Zossen nicht gleich umkippt. Naaa – kommt er – wieder – hoooch??? – Das bisschen Schlagseite, das muss er doch abkönnen, grinste Erwin nur. „Stabilität? Ach was! Schiet op dat beten Schlechtwetter“. Aber – ‚more tons‘ bedeuten vor allem ‚more money‘. Und so protzt er heute noch rum, dass er es gewesen ist, der „die da in der Mattentwiete zu dem gemacht hat, was sie heute sind!“ Und – so ein bisschen ist vielleicht da ja auch was dran, wie einige seiner Steuerleute sich erinnern, die in dieser Fahrt gnadenlos unter ihm gescheucht wurden. Die Knochen anderer Leute zählten ja damals eh nix bei der Seefahrt.